Laut Greenpeace hat jede erwachsene Person in Deutschland 95 Kleidungsstücke im Schrank – Unterwäsche und Socken nicht mitgezählt. Ein Drittel besitzt deutlich mehr. Vor allem Frauen, die aus bis zu 300 Teilen auswählen können und leider oft auch den Überblick verloren haben. Unweigerlich wird so das eine oder andere Stück vergessen oder passt längst nicht mehr. Jedes fünfte Kleidungsstück wird gar nie getragen.
Bevor ihr aus weiterlest, geht zu eurem Kleiderschrank und zählt mal nach...
Welchen Einfluss hat Mode auf das Klima und was kann jeder Einzelne tun? … Darüber sprechen wir heute mit Stefanie Buchacher, Corporate Social Responsibility & Marketing Managerin im Outdoor Einzelhandel, Gründerin der Kommunikationsberatung Purpose&Friends – und Drahtzieherin der Verschwörung [für das Gute].
Stefanie kennt sich richtig gut aus mit dem Thema „Nachhaltigkeit, Mode und Kommunikation“, was sie 2020 mit ihrer Masterarbeit „Geschichten, die wir tragen können: Storytelling for Sustainability“ unter Beweis stellte, in der sie für eine glaubwürdige Nachhaltigkeitskommunikation in der Bekleidungsbranche wirbt.
Herzlich willkommen, Stefanie. Bevor wir in die Details zu Mode und ihrer Auswirkung auf das Klima eingehen: Wie viele Kleidungsstücke hast du im Schrank?
Leider zu viele. Meine Lieblingskleidungsstücke, die ich oft trage und schon lange besitze, sind überschaubar. Aber in meinem Schrank finden sich viele Muster- und Kollektionsteile, die ich über meine vorherigen Jobs bekommen oder gekauft habe. An vielen hängt einfach mein Herz, weil einige der Muster niemals in die Produktion gegangen und somit Einzelstücke sind. Zur Freude meiner Tochter, die mittlerweile gerne meinen Schrank durchstöbert.
Weniger ist also mehr. Kannst du genauer erläutern, warum die Modewelt schädlich für das Klima ist?
Die Mode- und Textilbranche zählt zu den klimaschädlichsten Industrien. Umweltschäden, die durch giftige Chemikalien in Produktionsprozessen entstehen, der Raubbau an Trinkwasserreserven oder Treibhausgase, die innerhalb der Produktion und durch Transport entstehen. Die Bekleidungs- und Schuhindustrie verursachte 2018 rund 4% des weltweiten CO2-Ausstoßes (2,1 Milliarden Tonnen). Das entspricht den Emissionen von Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammen. Hinzu kommt das Problem der Wegwerfmode, denn Fast Fashion und Ultra Fast Fashion Hersteller bringen wöchentlich bis täglich neue Kollektionen auf Markt – was meistens von so schlechter Qualität ist und innerhalb kürzester Zeit auf Mülldeponien landet. Und nicht zu vergessen: die Arbeitsbedingungen innerhalb der Lieferkette!
Ein Ausweg aus dem Dilemma „Mode vs. Klima“ ist für viele das Konzept „Capsule Wardrobe“. Was genau ist das und ist der Minimalismustrend tatsächlich die Rettung vor der Klimakrise?
Hinter einer „Capsule Wardrobe“ versteckt sich das Konzept, nur noch ganz wenige und ausgewählte Kleidungsstücke zu besitzen und diese wechselnd zu tragen. Minimalismus – nicht nur in Sachen Kleidung, sondern in allen Lebens- und Konsumbereichen – ist sicherlich ein wichtiger und richtiger Schritt, denn die Industrienationen leben und verbrauchen über ein gesundes Maß. Plakativ verdeutlicht das der Earth Overshoot Day – der Tag, an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde innerhalb eines Jahres wiederherstellen kann. Aber das wichtigste ist: Wir müssen weg von einer linearen Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft, in der Ressourcen wiederverwendet und nicht weggeworfen werden.
Kleiner Tipp und Inspiration: Die Journalistin Meike Winnemuth wagte 2010 ein Experiment mit ganz besonderem Minimalismus. „Sie trägt ein Jahr lang jeden Tag das gleiche Kleid. (Keine Sorge: Das wird auch mal gewaschen, denn das Kleid gibt es in dreifacher identischer Ausführung.) Jeden Tag. Im Sommer und im Winter. Am Schreibtisch und zu offiziellen Anlässen. Auf Safari in Südafrika und beim Renovieren ihrer neuen Wohnung. Am Ende des Jahres gibt es 365 Fotos und wahrscheinlich einen Haufen Erkenntnisse. Über die Frage nämlich, was man wirklich braucht im Leben.“ – Wie das funktionierte und welche Erfahrungen sie sammeln konnte, findet man auf ihrem Blog „Das kleine Blaue“.
So vernünftig es klingt, nicht jeder will sich auf 30 Kleidungsstücke reduzieren (und schon gar nicht auf eines, wie im Experiment von Meike Winnemuth). Welche Möglichkeiten hat man bzw. frau noch, um mode- und gleichzeitig verantwortungsbewusst zu sein?
Kurz gesagt: Wertschätzen, was wir haben. Die meisten von uns besitzen bereits genügend Kleidungsstücke und mit den richtigen Kniffen lassen sich immer wieder schöne Styles kombinieren. Reparieren, was wir gerne mögen. Bewusst kaufen, wenn wir neue Kleidungsstücke brauchen. Es gibt viele Fair Fashion Marken in unterschiedlichen Preisklassen und viele Möglichkeiten, Vintage Mode zu kaufen. Oder es gibt Mode zum Ausleihen. Wichtig ist auch die richtige Pflege, damit die Kleidung lange hält – und die richtige Wäsche: Denn ein großes und immer noch zu wenig beachtetes Problem von Kleidung aus synthetischen Fasern ist Microplastik. Bei jedem Waschgang werden kleinste Kunststofffasern ausgeschwemmt und gelangen über das Abwasser in unsere Ökosysteme. Oder auch ein wichtiger Aspekt, gerade bei der Outdoor-Bekleidung: PFC. Um Jacken und Hosen wasser- und schmutzabweisend zu machen, sind diese imprägniert. PFC gelangt jedoch auch in unsere Umwelt und gilt sogar als krebserregend. Deswegen auf Eco-Imprägnierungen achten!
Wenn man den Markt beobachtet, sieht man in der Modewelt derzeit zwei Extreme: einerseits entstehen zunehmend nachhaltige Labels, die darauf achten, wenig Ressourcen zu verschwenden, die lokal produzieren und sehr hochwertige, langlebige Mode anbieten. Die Nachfrage scheint zu wachsen. Gleichzeitig ist da aber auch der gegenteilige Trend: Fast Fashion, oder sogar Ultra Fast Fashion. Was genau ist das und warum ist das gefährlich?
Ultra Fast Fashion ist die Steigerung von Fast Fashion, mit annähernd täglich neuen, extrem billigen Kleidungsstücken oder Kollektionen. Der Preis hat seinen Preis! Denn solche Mode kann weder unter ökologischen noch sozialen Aspekten produziert sein – und die Klamotten werden noch schneller weggeworfen, was unsere Umwelt extrem belastet. Durch die mindere Qualität können die Textilien nicht recycelt werden. Auch entsteht durch den Onlineversand unglaublich viel Müll und CO2. Durch die Möglichkeit, jederzeit und billigst Kleidung kaufen zu können, geht die Wertschätzung für Mode total verloren. Übrigens egal ob Fast Fashion, High Fashion oder Fair Fashion: Kleidung wird größtenteils in Handarbeit gemacht!
Beispiele für Ultrafast-Fashion: Asos - der größte britische Online-Versandhandel im Bereich Mode oder Shein, ein chinesischer Online Händler für Mode und Sportartikel, gegründet 2008 und seit 2015 auf Expansionskurs. Shein ist besonders unter jungen Verbrauchern und Verbraucherinnen populär, das liegt vor allem an der aggressiven Werbung, die auf follower starke Influencer setzt. Bei Shein werden Trends über soziale Netzwerke wie Instagram vollkommen geplant und umgesetzt.
Lass uns zum Schluss noch auf dein Fachgebiet „Kommunikation & Storytelling“ kommen. Warum glaubst du, dass Kleidungsstücke eine Geschichte erzählen sollten und wie kann das gegen die Klimakrise helfen? Kannst du ein paar Modemarken nennen, die das schon richtig gut machen.
Wir müssen aufhören, unseren Planeten zu zerstören. Stattdessen brauchen wir ein zukunftsfähiges (Kreislauf!)Wirtschaftssystem, eine internationale Wertegemeinschaft und globale Lösungen. Und wir brauchen ein Narrativ einer lebenswerten Zukunft! Es gibt bereits Marken und Unternehmen, die das verstanden haben und ihre Geschichte glaubwürdig und belastbar kommunizieren. Und genau diese Geschichten sind mitentscheidend, ob wir von Innovationen oder nachhaltigen Produkten und Unternehmen, die wir für eine lebenswerte Zukunft brauchen, erfahren und gemeinsam die Welt positiv verändern wollen – oder ob wir sie ungehört verstreichen lassen. Und dann sind da selbstverständlich noch viele andere Bereiche – neben Fashion – die wir anpacken und positiv beeinflussen müssen.
Zum Schluss - für alle Schnell-Leser und Pragmatiker - drei Tipps, wie man sich gleichzeitig mode- und umweltbewusst verhalten kann:
Betrachte Mode nicht als Wegwerfprodukt. Mode ist ein Teil von dir. Jedes T-Shirt, jeder Pulli, Rock, Hose oder Kleid hat dich ein Stück deines Lebens begleitet. Und erzählt eine Geschichte über den Leben. Werfe es also nicht einfach weg, sondern bewahre es so lange wie möglich.
Kaufe mit Bedacht. Nimm dir Zeit beim Modekauf, denn jedes Stück sagt etwas über deine Persönlichkeit aus. Und jedes Stück sollte auch zu anderen Stücken in deinem Kleiderschrank passen. Spontane Impulskäufe sind ohnehin oft Geldverschwendung. Schnell gekaufte Mode sitzt meist nicht gut – und liegt dann ungetragen im Schrank.
Verhaltensregel 3R: Jack Johnson, der Singer-Songwriter aus Hawaii, gibt das Motto in seinem Song "3R" vor: Reduce, also reduzieren (versuche dieses Jahr weniger neue Klamotten zu kaufen als letztes Jahr), Reuse, also wiederverwenden (verwende deine Klamotten so oft wie möglich und kombiniere neu) und Recycle, also wiederverwerten (was du nicht mehr anziehst, sollte nicht im Müll landen. Vielleicht kannst du die Stücke verkaufen, verschenken oder gar umnähen.
Liebe Stefanie, vielen Dank für das Interview. Toll, dass du die Verschwörung [für das Gute] vorantreibst.
Wenn auch ihr ein Teil der positiven Verschwörung werden wollt, dann folgt uns gerne auf LinkedIn, schaut auf unserer Webseite vorbei, hört unseren Podcast und besucht uns im nächsten konspirativen Treffen. Wir freuen uns auf euch.
Photo by Mukuko Studio on Unsplash
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